Du siehst nur mein Gesicht…

Ein Tag geht zu Ende, ich habe es wieder überstanden,
ein Spießrutenlauf zwischen Hoffen und Bangen.
Ich weiß, du hast mich gesehen, doch dein Blick macht mir klar,
du wünschst dir nichts mehr, als wäre ich gar nicht da.
Ich habe so viel zu geben, doch das interessiert dich nicht,
mein Schmerz, meine Wunden, die zählen nicht für dich.
Was kann ich tun, damit du mich siehst-
der Mensch, der ich bin – und nicht nur mein Gesicht?
Der Tag ist zu Ende, für heute ist Schluss,
vertrauen auf morgen, dass es dann besser sein muss.
Die eiserne Faust, die mein Herz umschließt, damit es nicht bricht,
darf sich jetzt lösen, denn du siehst mich nicht.

Doch dann in der Nacht, dann sind sie da,
die Bilder im Kopf von Mama und Papa,
von meiner Frau und meinen Söhnen,
die ich verließ, um zu denen zu gehen, die mich jetzt verhöhnen.
Die Tränen, sie fließen nur in der Nacht,
und auch nur ganz leise, sonst wird jemand wach.
Hier in dem Zimmer, da bin ich nicht allein,
ich teile es mit anderen, denn so muss es jetzt sein.

Ein neuer Tag, er beginnt schon sehr schnell,
viele Stimmen, dunkel und hell.
Verschiedene Sprachen, Männer und Frauen
Und wieder weiß ich nicht, wem kann ich trauen.
Aus meiner Heimat, da musste ich fliehen,
verraten von angeblichen Freunden an das Regime.
Mein Bruder verschwand mitten in der Nacht,
Nachbarn erzählten, Soldaten haben ihn weggebracht.
Meine Frau, sie flehte mich an
„Lauf, Mo, so schnell, wie man nur kann.
Sie werden dich holen, du wirst schon sehen,
dann wird alle Hoffnung hier untergehen.
Tu es für die Kinder, tu es für mich,
wenn du sicher bist, dann komme auch ich“
Ich wollte nicht gehen, ich wollte bleiben,
doch die Gefahr war groß, ich musste mich entscheiden.
Die Hoffnung im Herzen auf ein besseres Leben
Für mich und die Familie, die hielt mich am Leben.

Der Weg war lang, der Weg war schwer,
fast hätten sie mich gefangen, doch dann erreichte ich das Meer.
Ein Boot sollte mir die Freiheit bringen,
doch ich wusste, dass wir dort auf dem Meer mit dem Tode ringen.
Zu viele hatten es vor mir nicht geschafft,
doch was blieb mir übrig, tief in der Nacht?
Das Boot war voll und doch kamen immer noch mehr,
ich wollte wieder runter, doch es ging nicht mehr.
Sie drängten, sie schubsten und dann legten wir ab,
die Panik im Herzen, dass das Meer wird mein Grab.
Zu groß war die Angst, wir sprachen nicht viel,
doch wir waren verbunden für das gemeinsame Ziel.
Der Sturm, der dann kam in der Nacht,
erzeugte eine Stimmung wie bei einer Schlacht.
Ich trieb im Meer für mehrere Stunden,
doch dann kam ein Boot und ich wurde gefunden.
Körper trieben neben mir her,
für sie war es zu spät, sie schafften es nicht mehr.
Ich wurde dann an Land gebracht,
in fremder Sprache geschubst ohne Acht.
Eine Zelle mit vielen, die musste ich mir teilen,
doch ich hatte es geschafft und der Schlaf konnte weilen.

Ich kam dann nach Deutschland, wo ich Sicherheit fand,
ich war dankbar und glücklich für die helfende Hand.
Mein Zimmer ist klein, doch ich habe nicht viel.
Ich teile es gerne, das ist unser Asyl.
So viele Sprachen, die ich nicht verstehe,
doch ich lese in den Augen und das gibt uns Nähe.
Ich lese Verzweiflung, Hoffnung und Mut,
ich lese Verstehen, doch manchmal auch Wut.
Ich möchte lernen, damit ich auch geben kann,
in meiner Heimat habe ich als Doktor viel Gutes getan.
Doch meine Sprache hier verstehen sie nicht,
so muss ich schnell lernen, sonst verlier ich noch ganz mein Gesicht.
Die Tage sind lang, das Warten fällt schwer,
all die Gedanken, ich fühle mich so leer.
Ich gehe in die Stadt, hier pulsiert das Leben,
wär‘ so gerne ein Teil davon, ich könnte so viel geben.
Doch deine Blicke verfolgen mich und alle meine Schritte,
Argwohn und Hass sind spürbar in eurer Mitte.
Du machst mit klar, man will mich hier nicht.
Was kann ich tun, damit du mich siehst-
der Mensch, der ich bin – und nicht nur mein Gesicht?

Ein neuer Tag, ein bisschen Glück,
mein Telefon, das gaben sie mir zurück.
Endlich kann ich schauen, wie es daheim aussieht,
wie es meiner Familie geht, so mitten im Krieg.
Die Stimme meiner Frau, das Lachen meiner Söhne,
wie habe ich euch vermisst – eure Sicherheit sind meine Löhne.
Wäre ich geblieben, dann hätten sie euch geholt,
dann gäbe es jetzt kein Lachen, sondern nur Verzweiflung und Tod.
Das Gespräch ist kurz, mehr geht jetzt nicht,
von Deinen Blicken erzähle ich ihnen nicht.
Ich habe dich gesehen, wie du mich jetzt anschaust,
du denkst, ich habe alles und ich sehe deine Faust.
Mein Telefon verrät mich, ich bin ja gar nicht arm,
ich weiß genau, du denkst so, und nur du bist so strebsam.
Wie gern würd ich dir sagen, wie es wirklich bei mir ist,
doch irgendwie weiß ich genau, du bleibst so wie du bist.
Du willst mich nicht verstehen, still appellier ich an deinen Verstand,
doch deine Meinung zählt mehr als meine, denn das ist ja hier dein Land.
Ich dringe hier nur ein, ohne Arbeit, ohne Ziel,
du musst für mich bezahlen, auch wenn ich das nicht will.
Ich würde so gerne helfen, doch das siehst du nicht,
du willst es nicht verstehen, du siehst nur mein Gesicht.

Ich habe dich gesehen, im Fernsehen warst du da,
du trägst so große Schilder, geh zurück nach Afrika.
Du willst, dass ich jetzt gehe, zurück in meinen Krieg,
zurück zu Leid und Elend – der Mann, der immer schwieg.
Die Wut in Deinen Augen, der Hass in deinem Herz,
du kannst mich zwar verletzen, doch nicht fühlen meinen Schmerz.
Ich habe dich gesehen, in der Menge bist du stark,
schimpfst auf die Politiker, das geht auch mir ins Mark.
Dein Recht, dich frei zu äußern, das alleine siehst du nur,
dass ich dafür mein Land verließ, sonst drohte mir Tortur,
das ist jetzt mal kein Thema, denn die Deutschen sind hier zu Haus,
ich bin nur ein Flüchtling und fliege hier bald raus.
Ich habe so viel zu geben, doch das siehst du nicht,
du willst es nicht verstehen, du siehst nur mein Gesicht.
Ich habe dich gesehen, die Flammen schlugen hoch,
die Bilder meiner Kinder, die rettete ich grad‘ noch.

Ich habe jetzt ein neues Zimmer, da bin ich nicht allein,
ich teile es mit anderen, denn so soll es wohl sein.
Doch dann in der Nacht, dann sind sie da,
die Bilder im Kopf von Mama und Papa,
von meiner Frau und meinen Söhnen,
die ich verließ, um zu denen zu gehen, die mich jetzt verhöhnen.
Die Tränen, sie fließen nur in der Nacht,
und auch nur ganz leise, sonst wird jemand wach…

(©B. Metz)

5 Gedanken zu “Du siehst nur mein Gesicht…

  1. Ein sehr bewegendes Gedicht. Und es steht für das Schicksal von so vielen Menschen. Darf ich diesen Text vielleicht rebloggen? Nur, wenn es Dir wirklich Recht ist. Das, was Du schreibst, sollten wir uns immer vor Augen führen: Jeder Mensch braucht eine Heimat und es ist unerträglich, hier nicht ankommen zu dürfen und auch nicht zurückgehen zu können.

    Gefällt 2 Personen

    • Ganz lieben Dank, maramarin.
      Das Gedicht habe ich schon vor 2 Jahren geschrieben und war sogar mein aller erstes Gedicht auf diesem Blog. Es wurde jetzt wieder aktuell, weil einige der Flüchtlinge, die mich damals zu diesem Gedicht inspiriert haben, mittlerweile so gut Deutsch sprechen und lesen, dass sie jetzt auch meine Texte lesen und mich darum gebeten haben, dieses Gedicht doch noch einmal zu re-bloggen.

      Gerne darfst auch du das tun, denn damit geben wir denen eine Stimme, die selbst nicht in unserer Sprache ihre Geschichte, ihr Schicksal und ihre Gefühle mit uns teilen können.

      Gefällt 3 Personen

  2. Hat dies auf marasgedanken rebloggt und kommentierte:
    Beate von
    https://beatemetz.wordpress.com/
    hat ein sehr berührendes Gedicht geschrieben, das ich freundlicherweise mit ihrer Erlaubnis für Euch rebloggen darf. Es handelt davon, wie sehr Flüchtlinge darunter leiden, wenn wir sie hier nicht ankommen lassen. Dieses Gedicht kann erneut den Anstoß geben, den Menschen, die hier eine neue Heimat suchen, weil sie nicht in ihre alte Heimat zurück können, immer wieder freundlich und offen ins Gesicht zu schauen und ihnen zu zeigen, dass sie hier willkommen sind und dass sie sich hier bei uns sicher fühlen dürfen.

    Gefällt 1 Person

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