Wir wollen nicht mehr leise sein

Wir sind so viele, doch du hörst uns nicht,
vielleicht siehst du nur ab und zu unser Gesicht.
Wir machen so viel, doch laut zu sein gehörte bis jetzt nicht dazu,
wir machen es gerne, mit Liebe und mit ganz viel Ruh‘.
Warum schreien, wenn man in der Zeit so viel Gutes tun kann,
warum laut sein, wenn es auch leise so viel bewirken kann?

Das kleine Mädchen, das vor Tagen erst ihre Mutter verloren hat,
ist ganz verstört und ich begleite sie zum Doktor heute in die Stadt.
Die Flucht vor dem Krieg hat viele Narben hinterlassen,
das Leid, das ihr widerfährt, kann ich eigentlich gar nicht fassen.
Ich schaue sie an, leise streichle ich ihre Hand,
wissend, dass der Arzt nur die äußerlichen Wunden verband.
Sie spricht nicht meine Sprache, deshalb kann ich nicht viel sagen,
doch das leise Lied, das ich ihr singe, soll den Trost ihr übertragen.
Sie ist ja noch so klein und hat schon so viel gesehen,
niemand, der das nicht erlebt hat, kann das je verstehen.
Ich wiege sie in meinen Armen, doch dann muss ich wieder gehen,
es gibt noch so viele andere, nach denen muss ich auch noch sehen.

Die Neuankömmlinge, die wir jetzt aus Eritrea erwarten,
brauchen Unterkunft, Kleidung und Busfahrkarten.
Die Frau aus Syrien braucht Hilfe, um die Briefe zu verstehen,
die das Amt ihr schickte und hat Angst, sie muss jetzt wieder gehen.
Die Zusammenführung einer Familie steht auch noch auf dem Plan,
Drei Brüder sind hier weit verstreut, seit sie flohen zu uns aus Pakistan.

Auf dem Weg zum Amt, um einen jungen Guineer dorthin zu begleiten,
meldet sich bei mir telefonisch eine Frau, sie will bei uns mitarbeiten.
So sehr ich mich freue, denn jede helfende Hand ist hier ein Glück,
ich habe jetzt keine Zeit und rufe dann erst später wieder zurück.
Bevor ich nach Hause gehe, schaue ich bei der Kleinen noch einmal vorbei,
einen Teddy zum Kuscheln von meinem Sohn, den habe ich jetzt dabei.
Ganz leise leg ich ihr ihn in den Arm, sie sagt keinen Ton,
doch der Hauch von Lächeln ist für heute mein größter Lohn.

Erschöpft komme ich nach Hause, mir fallen fast die Augen zu,
ich mach dann den Fernseher an – und da bist plötzlich du.
Du stehst da auf der Straße und bist auch ziemlich laut,
der „besorgte Bürger“, da fahr ich bald aus der Haut.
Was hast du geleistet, was hast du gesehen,
wie kannst du die Not der Menschen einfach nicht verstehen?
Hast Angst um unsere Sitten, hast Angst um unser Land,
mit diesen hässlichen Parolen machst du dich jetzt bekannt.
Lass dir sagen, ich kenn dich schon, hab‘ dich schon gesehen,
bei Facebook und bei Twitter willst du ja auch deine Wege gehen.
Da teilst du fröhlich alles, ob richtig oder falsch,
ob Wahrheit oder Lüge, da schwillt mir gleich der Hals.
Recherchieren kannst du nicht, bevor du da verhetzt,
Hauptsache, diese Hassparolen stehen jetzt im Netz.
Empathie kennst du nicht mehr, wie könnte das auch sein,
besorgter Bürger – das bist du nicht, das bist du nur zum Schein.

Ja, ich bin jetzt wütend, über deine Dummheit, über deinen Hass,
deine Ignoranz lässt mich nicht kalt, da werde ich ganz blass.
Während wir hier leise mit dem Schmerz der anderen umgehen,
hast du nichts Besseres zu tun, als laut auf der Straße rumzustehen.
Hast nur dein eigenes Glück im Auge, das Leid der anderen ist dir egal,
dein Land soll rein und arisch bleiben, denn die kennst du nun einmal.
Alles Fremde macht dir Angst, alles Fremde ist dann schlecht,
es könnte ja Veränderung bedeuten und das ist dir gar nicht recht.
Vielleicht musst du dann auch was ändern, nicht nur denken an dich allein,
vielleicht musst du auf was verzichten und auch mal für andere da sein.
Dein Selbstgefühl verdienst du dir nur, weil du dich mit anderen vergleichst,
so fühlst du dich überlegen,
wenn du laut schreiend durch unsere Straßen schleichst.

Nein, auch ich will nicht mehr leise bleiben, ich will zeigen, wir sind da,
wir verachten eure Hassparolen und wir sind in der Überzahl!
Wir sind die Deutschen, auf die wir stolz sind, wir sind die mit Empathie,
Rasse, Religion und Herkunft, das verurteilen wir auch nie.
Wir sind offen, wir sind herzlich, bisher still, doch jetzt auch laut,
nein, du bist derjenige, der mit dieser Hetze unsere Kultur total versaut.
Deine falschen Wertvorstellungen, die lass ich jetzt nicht mehr durchgehen,
wir sind jetzt nicht mehr leise, das wirst du ab jetzt auch sehen…

(©B. Metz)

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Hat dir dieses Gedicht gefallen?  Möchtest du noch ein bisschen weiterlesen?  Dann schau vielleicht einmal bei „Bilder im Kopf“ rein.  Dies ist ein Gedicht, das ich aus der Sicht eines Flüchtlings geschrieben habe.

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#bloggerfuerfluechtlinge

8 Gedanken zu “Wir wollen nicht mehr leise sein

  1. Ich finde es ganz wunderbar, zu lesen, wie Du den Menschen, die zu uns kommen, hilfst. Ich denke, es werden immer mehr Menschen diesen Weg gehen. Manche brauchen ein wenig länger, andere sind jetzt schon mit vollem Einsatz dabei.

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    • Ganz lieben Dank für deinen tollen Kommentar. Ich sollte aber vielleicht richtig stellen, dass dieser Text nicht autobiographisch ist, sondern stellvertretend für alle helfenden Hände stehen soll. Ich arbeite zwar auch ehrenamtlich bei unserer lokalen Flüchtlingshilfe, bin persönlich jedoch mehr bei der Event Planung, Marketing und Organisation engagiert – Projekte, die ich gemeinsam mit denen, die aus ihren Ländern flüchten mussten, betreue.

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      • Der Text veranschaulicht sehr gut, was die Helfer leisten. Wie sie mit einem Lächeln, einer Umarmung, einer Geste, dem Da-Sein so viel Trost und Wärme spenden können. Und natürlich bist Du auch ein Teil dieser Helfer, wenn Du mit den Menschen zusammen Projekte auf die Beine stellst.

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  2. Und wieder ein toller Text von Dir! Im Vergleich zu den ersten kann man Deine Wut richtig spüren. Aber was für eine kunsvolle Form, mit dieser Wut kreativ umzugehen! Danke für Dein Schreiben und für Dein leidenschaftliches Engagement!

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  3. Danke für Ihre Worte und Ihr famoses Lautwerden, liebe Beate. Anders werden wir wohl doch nichht verstanden als wortbildlich mit der Flüstertüte unsere Worte in die Welt zu entlassen.
    Ich hinterlege herzliche Grüße, Ihre Frau Knobloch, bitte mit o.

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  4. Pingback: Bilder im Kopf (©B. Metz) | Heart-Beat(e)

  5. Liebe Beate, lieben Dank für deinen Hinweis auf dieses Gedicht … das ich sehr dankbar in die „Neuauflage“ der Publikation zur Blogparade nehmen werde! Gänsehaut beim lesen … ganz wunderbar! Herzliche Grüße von Anna

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