Verlassen

Du bist noch so klein und hast den Krieg schon gesehen,
bist jetzt allein hier bei uns und kannst gar nichts verstehen.
Deine Eltern so fern und deine Angst ist so groß,
dass der endgültige Abschied ist für immer dein Los.

Lebst jetzt seit Monaten schon dort drüben im Heim
mit vielen jungen Männern, dort solltest du nicht sein…
Du glaubst, man hat dich vergessen, dein Herz ist so schwer,
doch einer sieht deinen Schmerz und bringt dich her.

Ein großer Freund in der Not, der genau hinschaut
und selber ein Flüchtling, der dir jetzt diese Brücke baut.
Er erzählt mir von dir, von dem kleinen Jungen der schwieg,
er erzählt, dass du zurück willst in dein Land und diesen Krieg.

Zurück zu deinen Eltern, deine Mama fehlt dir so sehr,
suchst nach Geborgenheit, willst sonst gar nichts mehr.
Du schläfst schon lange nicht mehr in deinem Bett,
lachst nicht mehr und bist zu keinem mehr nett.

Du wirst immer stiller und isst seit Wochen  auch kaum,
willst unsere Sprache nicht lernen und verschließt dich im Raum.
Mein Herz wird schwer, als ich von deiner Geschichte höre,
ich habe nicht von deinem Leid gewusst, ich schwöre!

Mein Jüngster ist genauso alt wie du und ich kann gar nicht daran denken,
wenn er an deiner Stelle wäre, wer würde ihm dann Liebe schenken?
Würden Menschen seine Tränen sehen,
würde jemand ihn dann verstehen?

Für mich ist klar, jeder Tag ist hier zu viel und wir dürfen nicht warten,
und noch heute spielst du mit meinen Kindern bei uns  in unserem Garten.
Und jetzt sitzen wir hier und schauen euch zu,
der Fußball kommt heute gar nicht zur Ruh.

Dein großer Freund, der als einziger deinen Schmerz erkannte,
sitzt auch neben uns und ist froh, dass er sich an uns wandte.
Mit jedem Lachen von dir, erleben wir Großen das Glück
Und wir hoffen darauf, dass es auch für dich kommt zurück.

Auf einmal sprichst du Deutsch, wir können unseren Ohren nicht trauen,
du tobst, lachst und spielst, sogar ein Baumhaus wollt ihr bauen.
Den Kratzer am Arm nimmst du gar nicht wahr, doch ich  darf ihn dann verbinden,
dein Blick richtet sich dabei ungeduldig in den Garten, den kann ich nicht verhindern.

Endlich darfst du spielen, endlich darfst du Kind sein,
heute musst du nicht erwachsen sein,  auch nicht nur zum Schein.
Darfst alle Sorgen vergessen für diesen Tag,
auch wenn morgen das Heimweh zurückkommen mag.

Ich weiß, auch wenn du heute lachst, so heißt das noch nicht viel,
doch der Anfang ist gemacht und du bist nicht mehr alleine mit deinem Ziel.
Viel Arbeit steht uns jetzt bevor und alleine werden wir es nicht schaffen,
doch wir holen uns Hilfe und unsere Worte sind ab jetzt auch deine Waffen.

Du bist nicht mehr allein, du bist nicht mehr verlassen,
das lassen wir nicht zu, hier werden alle jetzt mitanfassen.
Zum Abschied liegst du ganz lang in meinem Arm,
du strahlst mich an und deine Augen- die  sind so warm.

Nächsten Sonntag wirst du wieder bei uns sein, das habe ich dir fest versprochen,
deine Hausaufgaben bringst du dann mit, das wird auch nicht gebrochen.
Bis dahin lernst du fleißig Deutsch, denn das ist unser Deal,
50 Worte jeden Tag, das ist für dich ein Spiel.

Kleiner Mann, ich denk an dich, deine Stärke, deinen Mut,
ich weiß, die Narben in deinem Herzen, werden lange noch nicht gut.
Doch niemals sollst du wieder denken, dass du hier bist allein,
ab jetzt werden viele Menschen für dich auch hier da sein…

(©B. Metz)

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#bloggerfuerfluechtlinge

 

15 Gedanken zu “Verlassen

  1. Schön, dass es Menschen wie Dich gibt. Ich kann die Tränen beim Lesen nicht zurückhalten. Habe ich doch vor nicht allzu langer Zeit einen Bericht über unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gesehen, der einem als Mutter fast das Herz zerriss. Ich wünsche Dir die Kraft und Stärke, dem Jungen zu helfen und zwar so, dass Du dabei immer das Gefühl hast, das Ganze stemmen zu können und Dich nicht zu übernehmen. Aber genau das lese ich bereits aus Deinem Gedicht heraus: Du wirst Dir Hilfe holen und zusammen werdet Ihr den kleinen Jungen wieder zum Lachen bringen.

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    • Danke für deine lieben Worte, maramarin!
      Ja, es ist nicht einfach, denn es gibt so viele kleine Jungs und Mädchen, die erst einmal durch das Raster fallen, da sie gar nicht als „unbegleitet“ registriert werden. Oft übertragen die Eltern dieser minderjährigen Kinder das Sorgerecht auf Verwandte oder Bekannte, die die Reise nach Deutschland antreten. Dann ist oft nur Geld für die Reise für eine Person da und deshalb schicken sie ihr Kind, damit es dem Krieg entfliehen kann.
      Dass derjenige, der das Sorgerecht übertragen bekommen hat, dann oftmals völlig überfordert mit der Betreuung ist, merkt man dann leider oft sehr spät.
      Da ist es dann gut, wenn man schon viele Freundschaften und Vertrauen zu anderen Flüchtlingen aufgebaut hat, so dass diese uns dann um Hilfe für diese Kinder bitten.
      Aber ich bin mir sicher, es gibt noch tausende von diesen kleinen Jungen und Mädchen, die sich genauso verlassen fühlen und das bricht einem das Herz…

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      • Es ist so gut, dass Du darüber schreibst, Beate. Darf ich für meine Leser einen Link zu Deinem Beitrag bloggen? Ich finde es wichtig, dass wir wissen, wie es den Menschen geht, die zu uns gekommen sind, besonders den Jüngsten. Und vielleicht veranlasst es ja die eine oder andere Mutter etwas zu spenden, sich zu engagieren etc.

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  2. Pingback: Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge | marasgedanken

  3. Liebe Beate, dein Gedicht und die Geschichte ist unglaublich berührend, so berührend, dass mir die Tränen über die Wangen laufen, ich gerne mein Kind aufwecken würde, nur damit ich es ganz fest drücken kann. Unglaublich, diese Welt. Was sie den Kindern antut, den unschuldigen Kleinen, die ohne Eltern aufwachsen müssen. Toll, dass es Menschen wie dich und deine Familie gibt! Auch wenn der kleine Mann immer an seiner Vergangenheit mit seinen liebenden Eltern und seinem Heim denken wird, auch an das was alles drum herum Schlimmes passiert ist. Ein Stein wurde gelegt, durch Menschlichkeit und ein Miteinander. Durch dich! Toll! Ich reblogge deine Geschichte sehr gerne, damit sie noch mehr Menschen berühren kann. Liebe Grüße, Steffi

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  4. Hat dies auf Mami und Ich rebloggt und kommentierte:
    Und ich sitze auf der Couch und blogge über das ewige Einschlafdrama meiner Tochter, wenn es da draußen richtige Dramen und Schicksale gibt. Ein Schicksal über einen kleinen Flüchtlingsjungen, den die liebe Beate, die darüber schrieb, kennenlernen durfte. Herzzerreissend, berührend, unheimlich traurig… und für alle Menschen da draußen lesenswert…

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  5. Pingback: Verlassen – Mami und Ich

  6. Ich danke Dir für diesen Beitrag – es ist so unfassbar schrecklich was diese Kinder alles erleben und umso schöner, wenn es Menschen wie Dich gibt, die sie für sie einstehen. Nach dem lesen Deines Textes bin ich erst mal zu meinem Kleinen gegangen und hab ihm beim schlafen zugesehen. Man mag sich gar nicht vorstellen was in den Eltern vorgegangen sein muss, als sie ihn weg schickten 😥

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